Was ist Zen-Buddhismus?
Der Zen-Buddhismus ist heute gross in Mode gekommen. Vielerorts werden Lektionen, Seminare und Retreats für Meditation, Kampfkünste, Bogenschiessen, Blumenstecken, Tuschmalerei und gar Teetrinken angeboten. Diese Angebote finden viele begeisterte Interessierte, schüren aber auch unbegründete Hoffnungen und wecken falsche Erwartungen.
Was ist der Zen-Buddhismus überhaupt? Was macht seine Anziehungskraft aus? Wo liegen seine Beschränkungen? Schon die erste Frage ist alles andere als leicht zu beantworten. Ist Zen eine Religion, eine Philosophie oder gar eine Art Psychotherapie? Nach einer gängigen Religionsdefinition ist Religion ein Phänomen, das dem Menschen Sinn stiftet, in Institutionen (z.B. Kirche) organisiert ist und einen Transzendenz-Bezug aufweist, sich also auf etwas bezieht, was ausserhalb der möglichen Sinneswahrnehmung des Menschen liegt. Während die ersten beiden Bedingungen (Sinnstiftung, Institutionalisierung) beim Zen-Buddhismus als gegeben betrachtet werden können, ist dies bei der dritten Voraussetzung (Transzendenz-Bezug) weniger klar. Wenn mit Transzendenz das Erfahren einer göttlichen, jenseitigen Welt gemeint ist, dann erfüllt der Zen-Buddhismus diese Voraussetzung für Religion nicht. Wenn man unter Transzendenz aber etwas versteht, das nichts mit einem Gott zu tun hat, sondern einen Zustand umschreibt, der vom Menschen nicht oder nur sehr schwer erreicht werden kann (z.B. der Zustand der geistigen Leere), dann erfüllt der Zen-Buddhismus auch die dritte Bedingung und kann dann als Religion bezeichnet werden.
Der Zen-Buddhismus ist aber auch eine Lehre, die versucht und vorgibt das Wesen der Welt zu begreifen. Und genau das entspricht der Definition von Philosophie: In der Philosophie (aus dem Griechischen übersetzt: „Liebe zur Weisheit“) wird versucht, die Welt und die menschliche Existenz zu ergründen, zu deuten und zu verstehen (Wikipedia). Eine der Grundfragen der Philosophie lautet demnach ‘Was können wir wissen’? Der Zen-Buddhismus hat eine Antwort darauf: Was wir sehen und wahrnehmen ist nicht die Wirklichkeit. Denn wir sehen die Welt (und uns) als unabhängige Objekte. In Wirklichkeit hat aber nichts auf dieser Welt eine von anderen Dingen losgelöste Existenz. Dies zu erkennen, braucht Wissen und jahrelange Übung. Der Zen-Buddhismus ist eine vom Atheismus ausgehende ‘Philosophie des Erwachens’, in der sich die Menschen in einem ersten Schritt (in der meditativen Übung) bewusst von der wahrgenommenen ‘Wirklichkeit’ lösen, um diese dann in einem zweiten Schritt (im Alltag) mit einem ‘gesunden’ Abstand wieder zu bejahen. Auf unterschiedlichsten Wegen (siehe oben) wird ein ‘entscheidender Sprung’ gewagt, nämlich das radikale Loslassen des Selbst. Anhaftungen (z.B. Habsucht, Geiz) und Abneigungen (z.B. Ärger, Wut) sollen in diesem Prozess hinter sich gelassen werden. Dabei trotzdem nicht in Gleichgültigkeit zu versinken, ist eine grosse psychologische Herausforderung, die über die ‘normalen’ menschlichen Möglichkeiten hinausgeht. In der Meditation des Zen-Buddhismus wird geübt, Gedanken als das zu verstehen, was sie sind: nämlich Gedanken und nicht die Wirklichkeit. Damit soll eine Art der mentalen Befreiung gelingen.
Zen-Buddhismus ist also sowohl Religion, Philosophie als auch Psychologie. Und gerade das macht seine Attraktivität aus: Sie bietet einen Ersatz für die alten ‘verstaubten’ Religionen, gibt eine Erklärung für das Funktionieren der Welt und eröffnet dem Menschen - und dies erscheint besonders wichtig - eine Möglichkeit, sich mit seiner Psyche auseinanderzusetzen. Der Zen-Buddhismus ist allerdings kein Ersatz für Psychotherapie. Er bietet lediglich die Aussicht - aber auch dies nur im besten Fall - auf ein gelasseneres und freudvolleres Leben.
Hans-Peter Sigrist, MSc Finanzplanung und Finanzanalyse BSc Philosophie und Religionswissenschaft
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